Buch ON AIR Interview

Fragen von Roger Thiriet für das Buch ON AIR.on air pic

Es wurde auch ein Interview zu meinen 30 und etwas mehr Jahren surfen auf den Radiowellen.

Fragen an François Mürner

 

  1. 1.      Du bist lange vor dem Start der Lokalradios mit der DRS-2-Sendung «Sounds» formal, inhaltlich und technisch neue Wege gegangen. Siehst du dich aus heutiger Sicht als Vorreiter und Wegbereiter der späteren Lokalradiomacher?

 

Sicher habe ich viele beeinflusst. Die legendäre DRS Pionierin Elisabeth Schnell hat mir einmal geschrieben, sie und ihre damaligen Kollegen hätten mich beneidet und geliebt, weil ich mir erlaubt habe all das zu machen was eigentlich verboten war. Mein Vorteil war, ich habe die formalen „Tricks of the Trade“  realisieren können lange vor DRS3, vor den Lokalradios, ich war ja mein eigener Chef. So gesehen habe ich sicher – ohne dass mir das klar war – Leute beeinflusst. Ich sage immer auf mein Niveau runtergeholt… Im Ernst, ich war meinerseits sehr beeinflusst durch die englischen Radiopiraten von „Radio Caroline“, „Big L“, dem französichen „RTL“ usw. Diese wiederum waren stark geprägt vom amerikanischen Pop-Radio. Ich wollte einfach wissen wie die Jungs das alles machen. Die Jingles, die Sound-Effekte usw. So ist eines zum anderen gekommen. Ich habe in England gelernt und dann diverse Techniken weiter entwickelt. Z.B. das „Sonovox“, den „Vocoder“ live in der Sendung verwendet,  ich habe ge-multi-trackt wie blöd und hatte später das Glück unter anderem mit Boris Blank von „Yello“ zusammen arbeiten zu können. Ich wollte einfach alles auch können was diese Musiker konnten und habe die Technik dann fürs Radio missbraucht.

 

  1. 2.      Technisch: Du hast, ebenfalls lange vor dem Start privater Radios in der Schweiz, im DRS-Studio Basel für «Sounds» den «Selbstfahrbetrieb» eingeführt, der später bei den Lokalen von Anfang an zum Standard  gehören sollte.  Wo resp. wovon hast du dich dazu inspirieren lassen?

 

Ich habe wie gesagt das Radiomachen in England gelernt. Alle meine Vorbilder kamen aus Amerika, England und Frankreich. Die kannten nichts anderes. Ich war einfach der erste Schweizer der konsequent schon in den frühen 70gern im DJ-Studio gearbeitet hat. Ich musste und wollte alles selber machen. Ich war auch Produzent meiner Sendungen, da achtest du auf das Budget. Ich konnte mir gar keine Techniker leisten. So gesehen war ich schon Pionier, aber dieses Ding lag in der Luft. Die grösste Schwierigkeit und mein Hauptverdienst, wenn man will, war es wohl dann die Technikabteilung von Radio DRS davon zu überzeugen, dass man so – also ohne Technik hinter der Glasscheibe – sehr gut Radio machen kann. Das waren kleine Königrieche, die ich da in Frage stellte. Tönler sind in weissen Schürzen rumgelaufen, haben Sendungen zu zweit gefahren und die ultimative Qualität zelebriert. Da kam dann ich und sagte „euch braucht es nicht, ich mache das auch und moderiere gleichzeitig“. Die waren schon leicht geschockt oder amüsiert. Ja, ja, der macht das nicht lange, der liegt bald unter dem Pult. Der Rest ist wohl Geschichte.

 

  1. 3.      Weshalb hast du mit dieser Vorgeschichte eigentlich nicht selber ein Lokalradio gegründet oder bei einem angeheuert? Hast du es je bereut, dass du bei DRS geblieben bist? Wenn ja, wann und warum? Wenn nein, weshalb nicht?

 

Eigentlich auf den ersten Blick verrückt. Ich wusste von England her mit „Capital Radio“ in  London was Lokalradio beim Start für einen phänomenalem Impact haben wird. Ich gab dem Lokalradio – aus Erfahrung und Überzeugung – die 100%-ige Erfolgsgarantie. Dann hatte ich auch fette Angebote wo mir, als dann 33-jähriger, kurz schwindlig wurde. Doppelt so viele Salär, Autos, sogar Beteiligung an kommenden Medien-Imperien hat man mir angeboten. Ich bin nach kurzer Überlegung doch zum Schluss gekommen, dass all das nichts für mich ist. Erstens fühlte ich mich der SRG moralisch verpflichtet. Radio DRS hat mir die ganz grosse Chance gegeben, mich aus England zurückgeholt, mir  als erster eine tägliche Sendung gegeben. Ehrlich, es wäre nicht die feine Art gewesen wenn ich gesagt hätte „Danke Jungs, das war es“, wenn ich wegen Cash ins „andere Lager“ gewechselt hätte. Der zweite relevantere Grund: Ich war immer ein riesiger BBC Fan. Ich habe miterlebt, wie die BBC  – Verlagsjournalismus lässt auch oder gerade in England grüssen – von der Presse gebasht wurde, wie aber die Jungs von der BBC nach dem ersten Lokalradio-Schock aufgestanden sind, kreativ geworden sind und mit viel Stil noch bessere Formate und Sendung als  vorher kreiert haben.

Das hat mich gereizt. Ich hatte ein untrügliches Bauchgefühl, dass ich, langfristig Gedacht bei der SRG kreativer sein kann, mehr Ecken und Kanten ausfahren darf, Dinge realisieren kann, die beim Lokalradio, egal wie gut, nie Thema sein können. Beim Lokalradio ist die Aufgabe eine andere, dort geht es um jeden Sponsor, um Quote und Werbeminuten, eine Welt, die mich sehr eingeengt hätte.

Bei SRF konnte ich

–          Echtes Rock Radio machen. Inklusive echter Rock-Attitude, kompromisslose Interviews (roh und sexy u.a. mit den „Bollack Brothers“ oder „Ray Davies“.

–          Ich konnte selber die Übertragung von Live-Konzerte organisieren (u.a. das inzwischen legendäre erste „Depeche Mode“ Konzert in einer 6000-Halle  in Basel, Iggy Pop in Zürich. Wir waren Instrumental beim inzwischen auf dem Internet viel kopierten Leonard Cohen Konzert.

–          Ich konnte fünf (!) Sender-Layouts realisieren (2 x mit Boris Blank DRS 3, dann mit GrooveWorx Los Angeles für DRS 3, dann Executive Producer beim Layout von SRF Virus, dann wieder ab 2003 bis 2010 das ganze neue Layout für DRS 3 mit Idee+Klang  Basel. Das letzte Mal habe ich – aus früherer Erfahrung – 100% auf Schweizer Audio-Designer und Musiker gebaut. Motto: Wir können  das besser als die Amis.

–          Ich konnte kompromisslos Musik von Schweizer Bands und Musikern spielen,  die dann noch niemand kannte und die Dank DRS 2 und später DRS 3 gross geworden sind. Stephan Eicher hat mir erst vor einer Woche wieder gesagt „ohne dich wäre ich nicht da“, was natürlich übertrieben ist, aber es stimmt, meine Sendungen waren wie Sauerstoff für die Musikszene Schweiz. Die Musiker hörten ihre Songs zum ersten Mal im nationalen Radio. Das hat vielen Auftrieb gegeben. Ich wusste, dass ich nichts falsch machte. Diese Bands und Musiker waren fast alle mindestens so gut, wie das was ich acht Jahre lang in London gehört hatte. Ihr einziger Nachteil, sie kamen aus der kleinen Schweiz.

–          Ich konnte live (!) mit technischen Gadgets experimentieren, die uns echt weitergebracht haben. Im Hörspielstudio stand ein Vocoder (da konntest du Stimme mit Musik verbinden). Das war ideal für meine kleinen Science-Fiction Stories die ich in die Techno-Sounds einstreute (Techno Sounds ein Sendeformat das ich zusammen mit dem Musikredaktor Urs Musfeld entwickelt hatte, wo wir nur Musik die mit Computer entstanden sind gespielt haben. NB lange vor der Street-Parade).

–          Ich kreierte später die tägliche Fortsetzungsgeschichte „Fax“ wo die Hörer und Hörerinnen täglich bestimmten wie es am nächsten Tag weitergehen soll. Ich glaube nicht, dass ich für ein Lokalradio tolle Schreiber wie ein Hansjörg Schertenleib, Urs Widmer, Claude Cueni oder Milena Moser hätte gewinnen können.

–          Später machte ich verrückte Dinge, wie immer zu Jahresbeginn nur schlecht Musik spielen (Verbrechen auf Schallplatte). Motto: Es kann dann nur noch besser werden. All das konnte ich realisieren, einfach weil man mir vertraute und keine Sponsoren hatten, die eventuell in diesem Umfeld keine Werbung schalten würden.

–          Noch später konnte ich „Virus – Radio neuste Generation“ loskicken. Mein Ziel: ein „Radiophonic Workshop“ eine „Talentschmiede“ für die SRG und NB die Radioszene Schweiz.

–          Usw. usw.

 

  1. 4.      Du bist also  DRS treu geblieben. Wie erinnerst du dich an die Zeit zu Beginn der 80er-Jahre, als absehbar wurde, dass DRS private Konkurrenz erhalten würde?  Wie an die Zeit, als DRS mit einem dritten Programm gegen diese aufrüstete?

 

Das war kein „gegen diese aufrüsten“. Aus meiner Sicht war das so: Die Kollegen von DRS wollten schon vor mir ein Pop-Programm loskicken, lange vor Schawinski. Das lag einfach in der Luft. Der SWR und andere hatten das vorgemacht. Politisch war das aber kein Thema. Frust total. Als dann Schawinski seinen Sender auf den Pizza Groppera stellte (Hut ab Roger!) haben wir alle jubiliert. Jetzt muss, wird etwas passieren. Es ist dann auch. Die SRG bekam endlich Konkurrenz, endlich hatten wir die Ausrede um das zu machen was wir eigentlich schon seit den 60ger Jahren machen wollten.

 

 

  1. 5.      «Locker vom Hocker» lautete in der Startphase der Slogan, mit dem die journalistische und vor allem die musikalische Leistung der Privaten etikettiert wurde – von den einen positiv als Fortschritt gegenüber der vermeintlichen Steifheit und Verkrampftheit von «Radio Beromünster», von den anderen negativ als Synonym für Oberflächlichkeit und Schnoddrigkeit. Wie beurteiltest du damals diesen Radiostil?

 

Das war ja genau das was alle wollten. Die Hörer und Hörerinnen, die Macher und Macherinnen. Man wollte Menschen hinter dem Mikrofon, keine Sprecher und Sprecherinnen die im kleinen Schwarzen oder der Krawatte ihre „Kunst“ zelebrierten.

Einige der Lokalradio-Moderatoren waren ja ehemalige DRS Leute, die da endlich sich selber sein durften. Andere wurden angeheuert und kannten nicht anders. Super! Was schwach war, aber niemand so richtig bemerkt hat, war die journalistische Leistung. Nix wurde gewichtet – so schien es – es wurde einfach übernommen. Agenturen-Deutsch war die neue Landessprache. Hörer und Hörerinnen wurden nicht wirklich ernst genommen. Man hat zwar versucht auf Augenhöhe zu kommunizieren, das aber leider zu oft nicht geschafft.

Die Augenhöhe war bei den Privaten oft unter dem Tisch, bei DRS dann immer noch vom Lehrerpult schräg nach unten. Aber es war eine lustige Zeit. Es genügt, dass man dauernd z.B. „Basel“ sagte und man hatte damit im Raum Basel einen riesen Erfolg. Mein Eindruck dann – und der dauerte recht lange an – war, dass man zu lange auf den Anfangs-Lorbeeren ausgeruht hat. Klar, diese Formel hat funktioniert, also „enges Musik-Repertoire, wir spielen den Leuten nur das was sie kennen“ und „wir labeln alles mit Basel, ZH oder was auch immer“. Nur hat man es versäumt von Anfang an auf Qualität zu setzen. Ich behaupte die zahlt sich  „in the long run“ aus. Man hat oft den Fehler gemacht lokale Radio-Talente auszupressen wie Zitronen und sie dann trocken fallen gelassen. Amerika zeigt aber, dass es gerade in lokalen Märkten elementar ist, dass man Figuren aufbaut – über Jahrzehnte (!) – die im Sendegebiet tief verankert sind. Radio ist wie kein anderes Medium ein Stück Heimat. Viele Lokalradio-Chefs haben das nicht wirklich realisiert.

 

  1. 6.      Wie beurteilst du aus heutiger Sicht den Erfolg der Lokalradios? Was haben Sie der Schweizer Radioszene gebracht? Wie hat sich dein «Haussender», haben sich DRS 3 und VIRUS behauptet oder allenfalls sogar inspiriert?

 

Die Lokalradios sind ein bedeutender Teil der Schweizer Medienszene. Wir könnten eigentlich alle zufrieden sein. 90% der Bevölkerung schaltet  trotz allen anderen Angeboten jeden Tag das Radio ein. Rund ein Drittel hört Lokalradio, rund zwei Drittel hören einen SRF Sender. Trotz allen anderen Angeboten! Die Erosion ist gering.

Radio wird es immer besser gehen als dem Fernsehen. Radio begleitet, Radio ist – dank der Musik, dank dem Wort – im besten Fall immer emotional, Radio ist leicht verfügbar, Radio ist jetzt interaktiver als je. Wir kreieren Communities in einem bisher ungekannten Mass. Radio ist vor allem inhaltlich deutlich relevanter als es je war. Da liegt, meine ich, der Schlüssel. Wir müssen daran arbeiten, dass es sich jedes Mal lohnt, wenn man das Radio einschaltet. Wir haben den Vorteil wir sind lokal! Wir wissen was hier abgeht. Das weiss Howard Stern (der US-Shock-Jock) nicht. Sollte iTunes via iPad (ein Radio Pay Button sei in Vorbereitung) ihn einmal gegen $$$ streamen, na und. Die ersten fünf Sendungen ist er vielleicht ganz lustig, so wie „World Federation Wrestling“ aber er weiss nicht was bei den „Rapperswil Lakers“ abgeht, oder bei den „Young Boys“, er hat die Stimmen der Trainer nicht, die Spieler nicht. Lokalradio ist am besten wenn Lokalradio das einlöst was der Name verspricht „Lokal“. Erzählt mir das Lokalradio die lokalen Geschichten so, dass ich begreife, das geht mich etwas an, also das passiert in meiner Stadt, meiner Region… dann… ja dann.. ist Lokalradio unschlagbar.

 

14. März 2013   FM François Mürner